GERMAN U15 9 ANNE STORCH, Institut für Afrikanistik und Ägyptologie, Universität zu Köln AUF EIN WORT MIT DEM FREMDEN In der Afrikanistik dreht sich fast alles um Sprache. Mal steht dabei die Wissen schaftskritik im Zentrum, wie in der soge- nannten „Southern Theory“, die den euro- zentrischen Blick zu überwinden und afrikanische Wissenskulturen in die Theo- riebildung einzubinden versucht. Mal kon- zentrieren sich Linguisten auf Wortlisten und Grammatiken, um Sprachstrukturen zu erforschen. Mich interessiert außerdem die soziale Funktion der Mehrsprachigkeit in Afrika, denn dort wachsen die Men- schen mit zwei bis fünf Sprachen auf – und sind äußerst erfolgreich in der Bildung von Gemeinschaften. Eines meiner Projekte führt uns seit 2016 zum Ballermann auf Mallorca. Die Frage: Wie begegnen Westafrikaner, die dort Toiletten putzen und Sonnenbrillen verkaufen, den Touristen auf sprachlicher Ebene? Sie erzählten, dass sie die deut- sche Sprache einfach erlernten, weil die Deutschen sie ins Partygeschehen einbe- zögen, mit ihnen Selfies machten. Kurzum: Zu ihnen konnten sie Beziehungen auf- bauen. Niederländisch dagegen empfan- den die Afrikaner als schwere Sprache, weil die Niederländer sich meist abwei- send verhielten. Die Fähigkeit, andere über das Gespräch zu erreichen, ist für sie also mit der Bereitschaft verknüpft, sich einem Menschen zu öffnen. Mehrsprachigkeit ist eine Kulturtech- nik, die für viele Afrikaner mit sozialem Er- folg zu tun hat; ob man eine Sprache gut beherrscht, ist dabei nicht so wichtig. Die fliegenden Händler, die sich auch als „aventuriers“ – Abenteurer – bezeichnen, gehen sehr spielerisch mit Worten um. Und so wie Ladenbesitzer ihre Geschäfte attraktiv einrichten, wollen auch die Stra- ßenhändler ein angenehmes sprachliches Grundrauschen erzeugen, um eine Brücke zum Fremden zu bauen. Für sie ist das Gespräch vor allem Ausdruck zwischen- menschlicher Annäherung. Das könnte doch Modellcharakter für den Umgang mit fremden Kulturen haben. BERNHARD PÖRKSEN, Institut für Medienwissenschaft, Universität Tübingen BILDUNGSAUFTRAG: KREATIVE MUSSE Wie beeinflussen digitale Überall-Medien unsere Gesellschaft? Was bedeutet es, wenn jeder rund um die Uhr senden, spei- chern und publizieren kann, also über alle Instrumente verfügt, um einen Dauerer- regungszustand in Gang zu halten? Eine meiner Thesen auf dem Gebiet der Skan- dalforschung lautet, dass die Gesellschaft immer unruhiger und gereizter wird. Ver- netzung heißt Verstörung, vor allem dann, wenn Bilder in Umlauf geraten, die ein ge- rade noch verehrtes Vorbild, aber auch Pri- vatpersonen blitzschnell demontieren und Ansehen und Autorität in Lichtgeschwin- digkeit pulverisieren können. In einer Übergangsphase der Medien- evolution sind wir den Instrumenten und Möglichkeiten des barrierefreien Publizie- rens noch nicht gewachsen. Was also ist zu tun? Pointiert gesagt müssen wir alle zu Redakteuren in eigener Sache werden. Denn täglich sind wir mit Fragen konfron- tiert, die sich auch gute Journalisten stel- len: Welche Quelle ist seriös? Ist eine In- formation relevant? Was sollte zum Schutz der Betroffenen nicht öffentlich werden? Die Kompetenz, darauf kluge Antworten zu finden, sollte zur Allgemeinbildung gehö- ren, ist aber mit einem gigantischen, poli- tisch noch nicht verstandenen Bildungs- auftrag verknüpft. Wir müssen schon mit Kindern und Ju- gendlichen eine reflektierte Art des öffent- lichen Sprechens einüben. Wir brauchen eine Medienmündigkeit auf der Höhe der Zeit – die Auseinandersetzung mit der Veränderung der öffentlichen Außenwelt und der kognitiven Innenwelt. Denn die Lebenskunst im digitalen Zeitalter stellt höchste Ansprüche an unsere Werteorien- tierung und Entschiedenheit: Gerade, weil es eine ungeheure Freude sein kann, sich in den Informationswelten zu verlieren, ist es ein Gebot der inneren Balance, sich zeit- weise wieder daraus zurückzuziehen. Denn zur Selbstverantwortung gehört auch, sich Inseln der Reizarmut und gepflegten Lan- geweile zu bewahren, um kreativen Prozes- sen Raum zu geben und Momente der Tie- fenkonzentration erleben zu können. ANNE STORCH Sprache und Kontext, Kritische Afrikanistik, Metalinguistik Gottfried Wilhelm LeibnizPreis BERNHARD PÖRKSEN Medienwandel, Kommunikationstheorie, Skandalforschung Professor des Jahres 2008, MitInitiator der Charta der Digitalen Grundrechte der EU