Multimediakarte Safiental - Partizipative Kartierung von Lokalem Umweltwissen
Diese Multimediakarte zeigt lokales Erfahrungswissen zum Schutz vor und im Umgang mit klimabedingten Naturgefahren der Bewohner des Safientals, einem Hochgebirgstal im Kanton Graubünden in der Schweiz. Anhand der Karte wird exemplarisch gezeigt, wie die normative, technologisch-naturwissenschaftliche Praxis des Naturgefahrenmanagements durch lokales Erfahrungswissen ergänzt werden kann, um Präventions- und Schutzmaßnahmen effektiver zu gestalten. Diese Erkenntnis spielt eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von lokal abgestimmten Schutzzonen und Katastrophenplänen.
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Lokales Umweltwissen
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Einleitung

Diese Multimediakarte zeigt lokales Erfahrungswissen zum Schutz vor und im Umgang mit klimabedingten Naturgefahren der Bewohner des Safientals, einem Hochgebirgstal im Kanton Graubünden in der Schweiz. Anhand der Karte wird exemplarisch gezeigt, wie die normative, technologisch-naturwissenschaftliche Praxis des Naturgefahrenmanagements durch lokales Erfahrungswissen ergänzt werden kann, um Präventions- und Schutzmaßnahmen effektiver zu gestalten. Diese Erkenntnis spielt eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von lokal abgestimmten Schutzzonen und Katastrophenplänen.

Einzeichnung von Lawinengassen und Murgängen

Um die Multimediakarte zu erstellen wurden im Zeitraum 2012 bis 2013 für insgesamt sechs Monate qualitative Daten im Safiental erhoben. Es wurden sowohl anthropologische Forschungsmethoden, wie die teilnehmende Beobachtung, als auch geographische Forschungsmethoden der partizipativen Kartierung durchgeführt. Die zentrale methodische Herangehensweise bildetet die Exploration von raumbezogenen Daten zu lokalem Wissen über klimabedingte Naturgefahren, mit den Techniken des mind mapping, scale mapping und multimedia mapping und der anschließenden Visualisierung durch ein Kartographieprogramm auf GIS Technologie. Ferner wurden mittels Methoden der Visuellen Anthropologie Interviews mit der lokalen Bevölkerung aus den Untersuchungsgebieten gefilmt. Diese Form der Kartierung und Visualisierung des Wissens ermöglicht es, auch ungeschriebene kulturelle Regeln, die nicht explizit formuliert werden, da sie für den Wissensträger als scheinbar natürlich gegeben existieren, zu erfassen und für das professionelle Gefahrenmanagement greifbar zu machen.

Beispiele der Partizipativen Kartographie:

Sketch Map Sketch Map über das Vorkommen von Naturgefahren im Safiental

Zum Erstellen einer Sketch Map werden die befragten Personen gebeten, ohne jegliche Vorgabe und frei assoziativ das Tal mit seinen Naturgefahren auf ein weißes Blatt Papier zu zeichnen. Auch wenn sich die Informationen nur nicht in eine geographisches Informationssystem (GIS) übertragen lassen, eignet sich die Methode sehr gut um einen Überblick über die subjektive Raumwahrnehmung einzelner Personen zu erlangen.

Scale Map über das Vorkommen von Naturgefahren im Safiental.

Zum Erstellen einer Scale Map wird auf einer topografischen Karte (Maßstab 1:25 000) eine durchsichtige Folie befestigt, auf welcher dann bestimmte Bereiche, wie z.B. Gefahrenzonen, markiert werden können. Auch wenn eine Scale Map nicht so frei assoziativ entsteht wie eine Sktech Map hat die Methode den Vorteil, dass alle eingezeichneten Bereiche auf einer topographischen Karte eingezeichnet werden, georeferenziert sind und dementsprechend leicht in ein Geographisches Informationssystem (GIS) übertragen werden können. Je nachdem wie viele Personen befragt werden, ist es außerdem möglich verschiedene Folien übereinander zu legen, woran sich Überschneidungen oder Abweichungen der Ergebnisse erkennen lassen.Detaillierte Informationen über die zuvor eingezeichneten Gefahrenzonen werden mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet.

Forschungsregion

Sommer
Das Safiental im Sommer

Das circa 25 km lange Tal verläuft in nord-südlicher Richtung und wird im Süden, Osten und Westen von circa 2000 - 2500m hohen Bergkämmen begrenzt. Richtung Süden bildet die Rheinschlucht eine natürliche Barriere. Im Tal leben 937 Menschen (Stand 1. August 2013), wobei die Besiedlungsstruktur der insgesamt vier Dörfer des Tales – Versam, Valendas, Tenna und Safien – durch weit voneinander entfernt liegende Streusiedlungen mit Bergbauernhöfen geprägt ist. Die meisten Bewohner sind Bauern, die in Familienbetrieben Viehhaltung betreiben und 45,6 % der Fläche des Tals wird landwirtschaftlich genutzt.

Lokales Umweltwissen

Aufgrund des hohen Anpassungsdrucks an die naturräumlichen Gegebenheiten im Safiental und der Abhängigkeit von dauerhaften Erträgen von einem räumlich sehr begrenzten Ökosystem, wurde im Safiental über die Jahrhunderte lokales Erfahrungswissen zu land- und forstwirtschaftlichen Praktiken, Wetterveränderungen und Naturgefahren, (z.B. dem zeitlichen Auftreten bestimmter Lawinen und Mugänge), angesammelt und tradiert. Dieses lokale Umweltwissen bildete noch bis vor wenigen Jahrzehnten die Grundlage für an soziale und kulturelle Normen gebundene Nutzungsrechte, wie z.B. das Verbot des Holzeinschlags in sogenannten „Bannwäldern“. Diese Art der Nutzungsrechte reglementierten den Umgang mit den natürlichen Ressourcen oftmals auf eine nachhaltige Art.

Auch wenn heute aufgrund des Strukturwandels in der Landwirtschaft und den damit verbundenen neuen technischen Möglichkeiten die natürlichen Ressourcen des Tals intensiver als früher bewirtschaftet werden können, ist bei einigen Bauernfamilien eine Rückbesinnung auf bewährte und in Vergessenheit geratene Praktiken dieser Form der nachhaltigen Bewirtschaftung sensibler Naturräume und der traditionellen Naturgefahrenprävention beobachtbar. Bei der Anwendung dieser Wissensbestände handelt es sich jedoch nicht um eine dichotomische Gegenüberstellung tradierter und moderner Wissensbestände - also dass im Umgang mit den naturräumlichen Gegebenheiten entweder tradiertes Erfahrungswissen oder moderne wissenschaftliche Erkenntnisse angewandt werden. Vielmehr werden je nach Situation aus einem zur Verfügung stehenden Wissenspool verschiedene Wissenselemente ausgewählt. Beispielsweise wird, um die beste Zeit der Heuernte zu bestimmen, einerseits die sehr präzise Vorhersage des Schweizer Wetterdienst beachtet und haben eigene kleine Messstationen auf ihrem Hof, gleichzeitig vertrauen sie aber auch auf ihr tradiertes Erfahrungswissen zu Wolkenformationen, Windrichtung, Temperaturgefälle, etc.

Viehauftrieb Viehauftrieb zur Futterweide

In dieser Hinsicht ist es also wichtig zu betonen, das lokales Umweltwissen nicht statisch ist, sondern sich in einem Prozess ständiger Transformation befindet. Durch den Prozess der „Glokalisierung“ werden kontinuierlich auch globale Wissenselemente inkorporiert. Wandelt sich die Umwelt, beispielsweise durch den Klimawandel oder als Folge neuer technischer Möglichkeiten in der Landwirtschaft, ändert sich auch das lokale Wissen im Spannungsfeld zwischen der Bemächtigung anderer Wissensformen und einer kreativen Anpassung oder Ausweitung des eigenen Wissenskorpus. Gerade in Bezug auf unvorhersehbare Umweltveränderungen, ausgelöst durch den Klimawandel, bietet jedoch die Rückbesinnung auf bewährtes und tradiertes Umweltwissen die Chance, auftretende Unregelmäßigkeiten nicht als unüberwindbareres Problem anzusehen, sondern als Anfang eines Transformationsprozesses, in dem die Menschen ihre Wechselbeziehungen zu ihren natürlichen Grundlagen langfristig und nachhaltig neu gestalten.

Institutionelle Einbindung

Die Karte ist Teil des Ethnologischen Forschungsprojekts: „Visualisierung und Kartierung von lokalem Wissen über Alpine Naturgefahren“, des Instituts für Sozial und Kulturanthropologie - Freien Universität Berlin. Die Technische Umsetzung fand in enger Zusammenarbeit mit der Firma Datalyze Solutions statt.

Verankert ist das Ethnologische Forschungsprojekt im Interdisziplinären Verbundprojekt: „Alpine Naturgefahren im Klimawandel. Deutungsmuster und Handlungspraktiken vom 18. bis zum 21. Jahrhundert“ (ANIK). Projektpartner sind die Katastrophenforschungsstelle (KFS), an der Freien Universität Berlin (Prof. Dr. Martin Voss), die eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in der Schweiz (Dr. Sylvia Kruse), der Lehrstuhl für Wald- und Umweltpolitik (TUM) der Technischen Universität München (Dr. Klaus Pukall), und das Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen (Prof. Dr. Manfred Jakubowski Tiessen).

Finanzierung

Das Projekt wird im Förderschwerpunkt „Soziale Dimensionen von Klimaschutz und Klimawandel“ im Programm „Sozial-ökologische Forschung“ des Deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.

Danksagung

Der besondere Dank gilt all den Menschen, die mir während meiner Feldforschung tatkräftig weitergeholfen und mich freundlich aufgenommen haben. Meinen Informanten sowie allen anderen, die mir Vertrauen entgegenbrachten und einen Einblick in ihre Lebenswelt gewährten. Insbesondere: Christian Messmer, Erwin und Angelika Bandli, Tamara Bühler, Paul Gartmann, Daniel, Thomas und Michel Buchli, Ricarda und Christian Zinsli sowie der Familie Gander. Des weiteren möchte ich Dr. Karin Wedig für ihre sehr konstruktive Kritik danken. Vielen Dank auch an die Firma Datalyze Solutions für die großartige Arbeit, insbesondere an Jan Rentsch, Matthias Ludwig, Tilo Menzel und Carolin Bauer.

Kontakt

Projektrealisation und Koordinierung der Karte: M.A. Christian Reichel
E-Mail: christian.reichel@fu-berlin.de

Projektleitung des Ethnologischen Teilprojekts: Prof. Dr. Undine Frömming
E-Mail: u.froemming@fu-berlin.de